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Die Geschichte von Adam, Eva und dem Baum über die Freiheit, den Verlauf der Menschheitsgeschichte und Lebenswege

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Die Geschichte mit Adams Verbannung aus dem Paradies bietet viele Lichtblicke. Eines davon betrifft die Natur der menschlichen Freiheit, seiner Erkenntnisweise uvm., was wiederum Tausende Jahre der Menschheitsgeschichte einschließlich der Entwicklungen der Theologien und Philosophien oder persönlichen Lebenswege erklärt. Wenn wir nämlich aufmerksam sind, lassen sich wiederkehrende Muster erkennen, welche eben in der Struktur der Freiheit, des Menschseins eingebettet liegen. Um einige soll es hier gehen. 

 

Adam und Eva genießen im Paradies, nachdem Gott sie verschiedenes gelehrt und somit denk-, handlungs- und sprachfähig gemacht hat, nahezu uneingeschränkte Handlungsmöglichkeiten, nur einem Baum dürfen sie sich nicht nähern. Dies sagt uns schon mal zwei Dinge über die Freiheit: 

 

1.) Freiheit heißt nicht Unbedingtheit: alle Möglichkeiten, die der Mensch potenziell besitzt, besitzt er nicht kraft seines Selbstseins (wie Gott), sondern durch die Vermittlung eines Äußeren (in diesem Fall Gott). Daher sind Abhängigkeiten als solche auch zunächst kein Widerspruch zur Freiheit.  

2.)  Freiheit heißt nicht Uneingeschränktheit: Der Mensch ist frei in seiner Erkenntnisfähigkeit seiner Möglichkeiten, Grenzen, der Konsequenzen seiner Entscheidung und schließlich in seinem Willen, welche Konsequenzen er auf sich nehmen will. Er ist frei darin zu genießen, solange es nicht den Prinzipien widerspricht (und dazu, dass Genießen nur in Übereinstimmung mit den Prinzipien also dem Freien möglich ist, s.u.). 

 

Sodann taucht Iblis/Satan auf und redet ihnen zu, Gott wolle ihnen bloß eine höhere Existenz (7:20: die Zugehörigkeit zu den Ewigen) vorenthalten, das Erlangen einer unendlichen Herrschaft (20:120-121), welche die eigentlichen Früchte jenes Baumes seien. Der Qurʾān redet ausdrücklich davon, dass er damit dem Menschen eine Blöße zeigen würde, die diesem zwar zu eigen aber zuvor noch verborgen war. Dies sagt folgendes: 

 

1.) Die Empfänglichkeit des Menschen für vom Weg abbringende „Einflüsterungen“ resultiert aus seiner eigenen Beschaffenheit, aus seinem eigenen Ich. 

2.) Findet also eine Verführung statt, gilt es diese nicht auf die Geschicklichkeit des Verführers sondern auf den Zustand der Verführten zurückzuführen. 

3.) Selbsterkenntnis ist ein stetiger Prozess, der nur durch die praktische Selbsterfahrung möglich ist: Selbst in einem so transparenten und von jeglicher irdischen Verzerrung (durch Kultur, usw.) freien Raum, selbst nach der Begegnung mit und Unterweisung durch Gott erfährt der Mensch durch praktische Handlung, Erfahrung und ganz besonders Deutung jener und was sie über ihn sagt, was er wirklich ist. Oder versteht, was das alles eigentlich bedeutet, dass er vermeintlich zunächst rein theoretisch in Form von Lehrsätzen über sich weiß: Was bedeutet es, dass Gott mir etwas verbietet? Was bedeutet es, ein Mensch zu sein; was bedeutet überhaupt Gott? Und was bedeutet es, überhaupt jene Grenzen zu haben? All dies wird erst anhand der Erfahrung überprüf- und realisierbar. 

 

Hierauf erkennen sie dem Qurʾān zufolge ihre Blöße, schämen sich und versuchen sie zu verdecken. Und Gott fragt sie, ob er denn nicht verboten und sie gewarnt habe, dass Iblis ihnen ein offenkundiger Feind sei. Dies zeigt folgendes: 

 

1.) Die sich aus dem menschlichen Ich ergebende Empfänglichkeit, Angreifbarkeit – Blöße – sorgt auch für einen erkenntnismäßigen Schleier: Nicht das Unwissen über die wahren Absichten des Satans sind das Problem – darüber waren sie schließlich informiert – sondern ihr eigenes Begehr. Fremdbestimmung wird demnach nicht durch Welterkenntnis entschärft, sondern Selbsterkenntnis und -kontrolle. Denn andere erringen Macht über uns, indem sie ansprechen, was tief in uns schlummert.  

2.) Die Freiheit ist unerbittlich: Wofür sich der Mensch auch entscheidet, er muss die Konsequenzen tragen (Scham + Verbannung).  

3.) Die Entscheidung gegen Gott ist immer eine Entscheidung gegen sich selbst. Davon legt die innerlich empfundene Scham Zeugnis ab, denn ein Leben ohne Gott widerspricht der Natur des Menschen, weshalb ein solches zu einer Disharmonie zwischen innerer Seinsstruktur und äußerer Daseinsweise führt. 

4.) Gott greift nicht direkt ein und bietet dem Menschen ein Geländer, das er wie ein Kind greifen und daran laufen kann: Gott bietet Sterne am Himmel, das Navigieren, Rudern usw. muss alles der Mensch selbst übernehmen. 

5.) Zuletzt, wenngleich Adam und Eva sich ihrer Blöße nicht bewusst waren, waren sie sich doch des Verbots Gottes bewusst. Der Preis der Freiheit ist die Ungewissheit, weshalb sie immer ein Wagnis bleibt und Tapferkeit voraussetzt. Gleichwohl bieten Gottes‘ Weisungen zwar keine Geländer aber klar leuchtende Sterne am Himmel, an denen der Mensch sich auch in tiefster Nacht orientieren kann. Denn keine Wolke als die des eigenen Ichs kann jene verdecken. Indes: Festhalten kann der Mensch sich nicht daran, denn Lichter machen zwar sichtbar, bleiben jedoch fern, er ist also gezwungen, seine Freiheit auszuhalten. Am wirksamsten ist dabei das Festhalten an dem, was als Wahrheit erkannt wurde, nämlich Gottes Weisung. 

 

Interessanterweise endet es damit, dass Adam und Eva um Vergebung bitten „wir haben gegen uns selbst Unrecht getan“, anschließend auf die Welt geschickt werden für „eine bestimmte Zeit“ bevor Worte empfangend ihnen vergeben wird. Es gibt keine Erbsünde. 

 

1.) Die Entscheidung gegen Gott ist immer eine Entscheidung gegen sich selbst (s.o.). 

2.) Freiheit lässt sich nur in Übereinstimmung mit Prinzipien verwirklichen, was auch für den Genuss gilt, d.i. indem Dinge nach eigenem Willen genossen werden und nicht aus inneren Zwängen heraus trotz offenkundiger Selbstschädigung. 

3.) Eigenverantwortlichkeit ist die Konsequenz der unerbittlichen Freiheit: Die Konsequenzen der Entscheidung müssen getragen und ausgehalten werden. Adam und Eva kommt Gott nicht zugeeilt; sie müssen die in ihnen geweckten Regungen und die Schwierigkeit, an Gott festzuhalten, aushalten. 

4.).) Weil praktische Erfahrung notwendig ist für die (Selbst)Erkenntnis (s.o.), muss der Mensch auch hier praktisch erfahren, weshalb die Reue in der Situation nicht genügt. 

5.).) Taten und damit verbundene Bewusstseinszustände hinterlassen Spuren in der Seele, wie das Essen und die körperliche Aktivität am Körper. 

6.).) Menschliche Weisheit und Standhaftigkeit entsteht durch Irren, Fehlen und Korrektur, d.h. keines davon „beschmutzt“ den Menschen oder macht ihn nieder. Und diese brauchen Zeit, Verloren ist einzig Iblis, der sich frei gegen die Selbstverbesserung entschied und auf seinem Irrweg festhielt. 

 

 

Man kann noch vieles darüber sagen; aber in allem steckt: der Preis der Freiheit ist die Ungewissheit, jedoch nicht Orientierungslosigkeit, denn Gottes‘ Weisungen bieten einen Orientierungspunkt. Damit erleichtert Gott sogar dem Menschen das Aushalten, denn der Mensch braucht immer einen von außen erlegten Ordnungsrahmen, eine Praxis. Das rituelle Gebet ist ein Beispiel: Indem der Mensch es stetig verrichten muss unabhängig von seinem Gemütszustand, lernt er zu abstrahieren, eine Distanz zu seinem Gemüt zu erlangen und so kein Getriebener davon zu sein. Nun kommen wir zum eigentlichen Problem: jener Orientierungspunkt verlangt, dass der Mensch eigenständig ihn er- und anerkennt sowie umsetzt. Eigenständigkeit setzt Freiheit, Freiheit Ungewissheit voraus. Und Ungewißheit ist unerträglich, weil der Mensch sich stetig seiner Eigenverantwortlichkeit bewusst ist: Er ist denk- und handlungsmächtig, also muss er kraft seines Willens am Kurs gemäß der Lichter festhalten und die nötigen Mühen, die sich unterwegs ergeben und das Erreichen seines Ziels erschweren, auf sich nehmen. Die gesamte Menschheitsgeschichte hinweg wurde versucht, dieser Ungewissheit und Eigenverantwortlichkeit zu entgehen, indem die Eigenständigkeit auf andere abgewälzt wurde: Verschiedene Vermittler zwischen Mensch und Gott, die Vermenschlichung Gottes oder Vergöttlichung des Nichtgottseiendem, sogar das Leugnen von Gottes Existenz dienen einzig dazu, vor der Ungewissheit und der Eigenverantwortlichkeit, dem Aushalten, zu fliehen. Denn in allen Fällen wird versucht, etwas konkret Fassbares zu bekommen: auch die absolutistischste Führungsfigur oder detailreiche Gesetzescodes bleiben greifbarer als Gott; wir stecken in unglücklichen Beziehungen, unerfüllten Lebensentwürfen uvm fest, weil sie zwar nichts aber immerhin konkret sind, lauter als die Wahrheit, die zwar alles und offenkundig aber bisweilen unkonkret oder eine über das eigene Ich hinausgehende Sicht voraussetzt. Über das Ich hinauszugehen = von Geländern loszulassen, auf offene See zu fahren, den nie fassbaren aber doch sichtbaren Sternen zu vertrauen. Was nämlich all die Alternativen und scheinbar sicheren Ufer noch auszeichnet, ist, dass sie aktiv und direkt in das eigene Leben eingreifen und somit nicht bloße Orientierungspunkte, sondern greifbare Geländer bieten.  

 

Kurz: Niemand ist vor der Freiheit sicher; und der Preis der Freiheit ist die Ungewissheit und ihre Implikation die Eigenverantwortlichkeit – der Mensch muss sich an sich selbst bewähren, sodass jedes Versagen ein persönliches ist.