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Wovon wir frei sein müssen und wozu wir es können: Das Verhältnis von Wahrheit und Freiheit


Die Bedeutungen von ,,in Freiheit leben“ und ,,in Wahrheit leben“ sind verflochten: 


Wahrheit erfordert Freiheit: 

Denkfreiheit, um erkennen und 

Handlungsfreiheit, um umsetzen zu können. 

Da beide mit Widerständen verbunden sind, bedarf es der Willensfreiheit, um erkennen und umsetzen zu wollen.


Was aber ist Wahrheit? 

Definition: Wahrheit = Übereinstimmung von x mit der Wirklichkeit. Vereinfachtes Beispiel: Der Satz ,,es regnet gerade in Frankfurt“ ist genau dann wahr, wenn es zum Zeitpunkt der Aussprache in Frankfurt regnet. 



Demnach bedeutet ,,in Wahrheit leben" nichts als in Übereinstimmung mit der Wirklichkeit, also wirklichkeitsgemäß. Dies wiederum setzt erst die Erkenntnis- und anschließend Verwirklichungsfähigkeit voraus, anders: Denk- und Handlungsfreiheit. Wahrheit und Freiheit sind nämlich untrennbar verknüpft: Der Verlust des Einen bedeutet immer auch den des Anderen. Freiheit ist von Allmacht zu unterscheiden: die Freiheit einer Person bemisst sich an dem ihr konkret und nicht einem abstrakt menschlich Möglichen. Grundvoraussetzung ist wenn sie die sie betreffenden Dinge so sehen kann, wie sie sind und eine Sache trotz ihrer Konsequenzen tun kann, kurz selbstbestimmt statt allmächtig ist. Und diesen Grundzug der menschlichen Freiheit besitzt jede Person. Dies lässt sich an vielen Beispielen im Alltag veranschaulichen, etwa wenn die Fessel einer persönlichen Neigung oder Empfindung dazu führt, dass wir eine erkennntismäßige Wahrheit als unangenehm empfinden und die Augen vor ihr verschließen, eine handlungsmäßige als anstrengend und daher die folgerichtige Handlung verweigern, oder die gefühlsmäßigen Konsequenzen unserer Entscheidung nicht ertragen und unter Vorwänden aufgeben. 

 

Damit stellt sich die Frage, wovon wir frei sein müssen und wozu wir frei sein können. 

 

Wovon - von der blinden (erkenntnismäßig) oder sklavischen (handlungsmäßig) Ichbezogenheit. Wenn wir ehrlich sind, entscheidet sich die Freiheitsfrage in uns. Gerade deshalb kann uns keiner die Freiheit wirklich berauben: wir entscheiden, wofür es sich für uns zu leben und wozu zu sterben lohnt; und wir manifestieren diese innere Haltung jedes Mal auf eine selbstbestimmte Weise, sobald wir mit einem weiteren Atemzug an dem Leben haften. Niemand kann sich herausreden mit Verweis auf gesellschaftliche Pflichten, religiöse Gebote oder sonstiges - selbst  wenn es die eigenen Kinder sind, es ist immer die Person selbst, welche sich entscheidet, ihr Leben fortzuführen. Ein Mensch lernt also sich als Person kennen, wenn er sich dieser Frage stellt: Wofür lebe ich? Sobald er nachhakt, woher dieses ,,Wofür“ fundamental stammt, weiß er, ob es ein selbstbestimmtes oder fremdbestimmtes Leben ist. 


Wer in Wahrheit - frei - leben möchte, muss sich selbst stellen. Die Freiheit eines Menschen ist die Fähigkeit, sich zu stellen; seine Wahrheit sein Bindeglied mit der Wirklichkeit. Denn die Entscheidung zur Unfreiheit ist gleichzeitig eine gegen sich selbst, gegen das, was man in Wirklichkeit und nicht kulturell/vorstellungsmäßig/national/usw ist. Das Kostüm wird nichtssagend, sobald der Bühnenvorhang fällt. Genauso dringt aber auch nicht die Realität auf die Bühne; die Kluft zwischen Stück und Außenwelt, Darsteller und Darstellung kann bloß der Mensch überbrücken.

Gleichzeitig ist mit Freiheit und Wahrheit immer eine tiefe Entfremdungserfahrung verbunden: äußerlich zur Kultur, Familie, Gesellschaft usw; innerlich, weil deren Identitätsangebote von uns angenommen und gelebt wurden, also verhärtet sind und es sie aufzubrechen gilt.


Damit haben wir endlich auch die Antwort auf das ,,Wozu frei sein“ - zu einem Leben in Übereinstimmung mit der inneren und äußeren Wirklichkeit, kurz gemäß der Dinge wie sie sind und nicht wie sie erscheinen.