Was bedeutet es, sich zu entscheiden?
Vergleichen wir ,,unterscheiden“ und ,,entscheiden“. In beiden Fällen wird etwas geschieden, also getrennt; unterscheiden ist theoretisch, wertneutral und immer auf andere Dinge als mich bezogen: A wird von B unterschieden, dh differenziert/getrennt, wenn ich sie jeweils auf die Eigenschaften betrachte, die das eine zu A statt B, und das andere zu B statt A machen. Da ich hier die beiden bestimme, ist es bloß theoretisch, also verstandesmäßig.
Entscheiden ist praktisch, wertschätzend und immer auf mich bezogen: Praktisch, weil die Entscheidung für A und gegen B lebenswirklich wirksam ist; wertschätzend, weil jede Entscheidung für etwas eine Bejahung und gleichzeitig Verneinung ist, nämlich was für mich tatsächlich wertvoll oder wertlos ist; und immer ichbezogen, weil es nicht mehr um den faktischen Zustand von A oder B geht, sondern welchem ich mich zu, und von welchem ich mich abwende.
Was bedeutet es demnach, sich zu entscheiden?
Es bedeutet, den Kurs seines eigenes Lebens zu bestimmen. Denn nicht ob etwas an sich gut oder schlecht, sinnvoll oder sinnlos, wertvoll oder wertlos ist, formt meine Persönlichkeit, sondern wofür ich mich bewusst entscheide, d.i.,was ich bejahe und verneine: was ich nach einer Abwägung für das andere tausche. Ich trenne nämlich nicht zwei externe Gegenstände A und B voneinander, sondern indem ich mich für A entscheide, trenne ich mich selbst von B. Und durch die bewusste und willentliche Verbindung mit A können auch nur solche Eigenschaften in mir bestehen, welche in diese Verbindung passen; von den gegensätzlichen, also mit B harmonierenden, trenne ich mich, indem ich mich von B trenne. Daher sind Entscheidungen immer willentlich; sie können unüberlegt oder widerstrebend gefällt werden, aber sie sind immer willentlich. Daher gibt es nüchtern auch weder Mitleid noch Nachsicht; man erntet, was man sät. Wer Faulheit, Fahrlässigkeit, Ignoranz, Feigheit u.ä. seine Entscheidung beeinflussen lässt, trifft eben auch eine Entscheidung vor der Entscheidung, nämlich welche Strebungen es einer Person wert sind, dass sie ihre Konsequenzen in Kauf nimmt. Aristoteles: wer lieber sich in der Schlacht ergibt, um als Sklave weiterzuleben statt als ein freier Mensch zu sterben, entscheidet ebenfalls, was ihm die Freiheit wert ist, und was eben nicht; ob er wirklich frei ist, oder nur unter bestimmten Bedingungen. Ausreden - und sonstige Spielarten von Ausflüchten - bleiben nur theoretisch; an den lebenswirklichen Konsequenzen unserer Entscheidungen verändern sie nichts. Als ob man schmutziges Geschirr in der Abstellkammer versteckt. Sauberer erscheint, aber wird die Wohnung dennoch nicht. Im Gegenteil: der Schmutz wird immer schlimmer und breitet sich langsam aber stetig aus.
Entscheidungen bestimmen also, wer ein Mensch ist; sie formen die Persönlichkeit. Sich zu entscheiden bedeutet folglich, seinen Charakter zu gestalten und den Verlauf seines Lebensweges eigenmächtig festzulegen.