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Warum?

Ein einfaches Wort, die weltbewegende Frage. 

Vor fünf Jahren schrieb ich es selbstbewusst an den Anfang meines letzten Büchleins, aber ich verstand nicht. Denn ich stellte sie intellektuell, nicht lebenswirklich; theoretisch, nicht praktisch. Vor dem Hintergrund von Privilegien, nicht Schwierigkeiten. In Schwierigkeiten waren die anderen. 

 

Bloß, kann man ein Feuer mit kunstvoller Musik besänftigen? Lässt sich ein körperliches Leiden mit Argumenten lindern? 

Wenn die praktischen Schwierigkeiten beginnen am Menschen praktisch also sinnlich, empirisch und konkret zu zehren, kann dem nur sinnlich, empirisch und konkret begegnet werden. Bleiben die Antworten rein theoretisch, wird aus dem Idealisten ein knallharter Oppurtunist, sobald die Parolen praktisch auf die Probe gestellt werden; aus dem Linken ein Rechter, aus dem Gesetzestreuen ein Gesetzloser, der Keuche zum Lustmolch. 


Nicht durch theoretisches Überzeugtsein verinnerlicht der Mensch, sondern praktische Bewährung. 

Will man Eines besitzen, muss man Anderes hergeben. 


Also stelle ich die Frage praktisch, im Angesicht der sinnlichen, empirischen und konkreten Schwierigkeiten. Dann, wenn ich mich wie Sisyphos fühle; dann, wenn die Schmerzen mich plagen; dann, wenn die Stille mich zu erdrücken droht. 

Wenn ich Angst habe, die Frage erkenntnisorientiert zu stellen. Wenn ich folglich gezwungen werde, bewusst zu werden, welche mich betreffenden Antworten es auf die Frage gibt, und was sie bedeuten. Einen Teil von mir wird die Frage befreien, einen anderen in Ketten legen. 

 

Der Mensch bemüht sich und klagt, wenn die Mühen nicht zu den gewünschten Ergebnissen führen. Oder er rühmt sich für das eigene Werk. 

Bemühen sich etwa nicht unzählige Menschen tagtäglich, ohne überhaupt zu meinen nicht erarbeiteten Privilegien zu kommen?

Der Mensch schafft und klagt, wenn die Anderen nicht würdigen. Oder er nimmt die Würdigungen huldvoll an. 

Wie viele unzählige Menschen schaffen täglich, ohne dass überhaupt ihre Existenz wahrgenommen wird?

Wie viele Menschen können überhaupt noch die Frage offen stellen, statt sie von sich zu schleudern? Oder abgestumpft im Sumpf der Gleichgültigkeit zu versinken?

 

Die Liste ließe sich fortführen. Allerdings würde es doch nur wieder von der eigentlichen, praktisch stehenden Frage fortführen. Und fort will ich, denn wenngleich die Antwort(en) einen Teil befreien, wird ein anderer in Ketten gelegt. Frage ich wirklich, also erkenntnisorientiert statt rhetorisch, so habe ich mich bereits in diesem Moment bewusstseinsmäßig überwunden. Der Fokus klärt sich für einen Moment, die Kette an Kontrollosigkeit, der Unfreiheit, der Gewohnheit und Verbitterung unterbrochen. Die Welt von morgen ist nicht die von heute und nur die Frage ist weltbewegend, nicht das Wort – folgerichtig ist jede Überwindung bloß ein Anfang. Mein Problem ist nicht das Fehlen der Antwort, sondern das Bewusstwerden ihrer praktischen Bedeutung, Wirkung, Reichweite. 

Und so ist der Mensch: er braucht Einsicht, Vergegenwärtigung, Erinnerung - kurz, praktische Erfahrung. 

 

Mit Nachdruck, um bewusst zu werden also:

Warum?