Die nächtlichen Spaziergänge, fangen sie wieder an?
Anders. Früher romantisierte ich die Nacht – alles steht still, eine geheimnisvolle Ungewissheit, Einsamkeit.
So ist die Nacht aber nicht.
Es gibt keinen Stillstand. Der Wind weht, ich höre das Rascheln der Blätter, verborgen ein Uhu, über mir ein Nachtfalter. Bei geöffnetem Fenster höre ich sie auch. Sie begleitet mich in den Schlaf, das langsame aber stetige Geschehen der Nacht.
Es gibt auch keine geheimnisvolle Ungewissheit. Es mag quantitativ weniger wahrnehmbar sein, doch ist es auch qualitativ so? Was, wenn gerade das Fehlen der Vielzahl von Farben und Dingen nicht das Sehen vermindert, sondern die Ablenkungen? Sie wiegt manchmal schwer, manchmal erleichtert sie, die Nüchternheit der Nacht.
Einsamkeit – nein, auch sie nicht. Wenn auf mich und mein Bewusstsein gewirkt wird, gibt es etwas, das einwirkt.
Das Sein ist in Harmonie, wie also das Verhältnis von Tag und Nacht?
Bei Tag Treiben und getrieben Werden. In der Nacht ist es ein sich-treiben-Lassen. Unvorhersehbarkeit bedeutet eigentlich Vorurteilsfreiheit. Betreiben und treiben-Lassen also? Denn im Unterschied zum täglichen getrieben Werden, ist das nächtliche treiben Lassen frei. Das treiben-Lassen der Nacht bedeutet Empfänglichkeit. Empfänglich für das Sein in einer gar nicht verhüllten, sondern nackten Form. Lege ich nicht bei Nacht auch alle Rollen ab, die ich bei Tag spiele? Die Masken, die ich aufsetze? Bin ich nicht mir selbst ausgeliefert, wenn in dem Moment, in dem ich einschlafen will, ich nur mit mir bin?
Beides braucht der Mensch, aktiv Betreiben und aktiv treiben-Lassen.
Nehmen wir Kreativität. Was ist Kreativität?
Neuartiges Ausdrucksvermögen? Schöpferische Kraft? Letzteres passt vermutlich am besten, da mit Kreativität Freiheit (und nicht selten Fantasie) verbunden wird.
Dann wäre der Kreative der Schöpfer. Was heißt das aber? Für die meisten gilt Schöpfer=Urheber. Doch wovon? Von etwas, das im Prinzip schon da ist nur nicht in der Form, wie etwa ein neues klassisches Stück, ein Kleidungsstil oder ein neues Lied innerhalb eines Genres?
Das ist aber nicht Schöpfung, wie wir eigentlich seit Platon wissen dürften, sondern Nachahmung, Anwendung, Weiterentwicklung oder Verbindung.
Nicht alle Künstler sind Kreative. Bloß Nachahmer.
Was ist also Kreativität?
Die nächtliche Empfänglichkeit. Empfänglich für das Sein in einer gar nicht verhüllten, sondern nackten Form. Kreativität ist Offenheit; Durchlässigkeit: Ich lasse das unkonkrete, abstrakte, reine Sein durch mich sich konkretisieren, manifestieren, vergegenständlichen. Sich vom Sein aktiv treiben Lassen. Der Kreative erschafft also nicht, aber schöpft, und zwar aus dem Sein. Freiheit ist notwendig zur Kreativität, weil nur der Unabhängige durchsichtig sein kann. Der Künstler versperrt die Sicht mit seiner Person. Die Werke seiner Fantasie stammen aus seinen persönlichen Erfahrungen, Prägungen, Horizonten. Wie ein Einhorn auf Pferd und Ziege zurückgeht.
Der Kreative hat Vorstellungskraft, d.h. nämlich das Sein in einer konkreten Form vor sich oder andere zu stellen. Er muss kraftvoll sein, weil das schöpfen mühevoll wird. Der Kreative ist daher auch unpersönlich im Verhältnis zum Werk, denn es ist gar nicht seins. Der Künstler abhängig, denn das Urteil über das Werk ist ein Urteil über ihn.
Der Kreative liebt das Sein; der Künstler die Darstellung.
Für den Moment plausibel. Alter Einsichten bewusster geworden.
Bloß - was ist der Behälter, mit dem der Kreative schöpft?