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Die relativistische (Post)moderne und Platons Höhlengleichnis: Kann es dort Veränderungen geben, wo die Frage des ,,Wozu“ eine Farce ist?

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Die relativistische (Post)moderne und Pl
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,,So steht der Relativist, wie viel relatives er auch anhäuft, am Ende doch mit leeren Händen dar. Vincit omnia veritas, weiß der sich der Grundsätze bewusste Mensch. Der Relativist weiß nicht einmal, dass er gar nichts weiß“. 

 

Wenn Sie einmal mehr in der Zeitung über die gelähmte Gesellschaft lesen - ob bzgl. Natur, sozialer Gerechtigkeit oder Edelmut - Fragen Sie sich da nicht auch manchmal: Wieso genügen Wissen, Zungenbekenntnis, 300 Jahre Aufklärung und geschriebenes Gesetz nicht? Ich glaube,  unsere Unfähigkeit resultiert daraus, dass wir lähmende Überzeugungen hegen. 

 

Eigentlich wollte ich einen Beitrag zur Anthropozän-Debatte hochladen. Die Umstände zwingen mich jedoch, zuvor etwas über eine aus meiner Sicht weit verbreitetes, wie der Sauerstoff in der Luft als selbstverständlich angenommenes, nichtsdestoweniger sehr gefährliches Dogma, nämlich den Relativismus zu schreiben. In dessen Zuge wird alles - von der Moral bis zu Überzeugungen, von Glück und Liebe, mithin das Gute und Böse für relativ erklärt. Um seine Bedeutung und Wirkung in unserem Denken und Handeln zu verstehen, müssen wir zunächst wissen, worüber wir sprechen: 

 

 Nichts ist.

Wenn es aber etwas gäbe, wäre es für den Menschen nicht erkennbar. 

Und wäre es erkennbar, so wäre es für ihn nicht vermittelbar.

Gorgias (483-374 v. Chr). 

 

Es gibt verschiedene Ausgangspunkte für diese Theorie, wie es auch zwei grundsätzlich unterschiedene Ansatzmöglichkeiten gibt: 

1.) Es gibt keine objektiven, von der Außenwelt unabhängigen Prinzipien, d.h. ,,alles ist relativ“. 

2.) Der Mensch ist von Grund auf subjektiv, d.h. ,,alles menschliche ist relativ“. 

 

Zum Punkt 1: ,,Alles ist relativ“. 

Den offensichtlichsten Widerspruch trägt der Satz in sich selbst. Indem der Ausspruch ,,alles ist relativ“ jegliche Objektivität leugnet, tritt er in Form einer (scheinbaren) objektiven Tatsache auf: Man will weismachen, es sei eine Tatsache, dass es keine Tatsachen gäbe. 

Lassen Sie sich diesen Satz auf der Zunge zergehen! 

,,Es ist eine Tatsache, dass es keine Tatsachen gibt“.

Versuchen wir es mal mit ,,Alles ist relativ, bis auf die Relativität selbst“. Hier stellen sich aber wieder unzählige Fragen: 

Wieso sollte ich annehmen, Objektivität sei einzig das Vorrecht der Relativität? 

Woher bezieht Relativität diese Objektivität? 

Wenn es Relativität gibt, wieso keine Objektivität?

Wissenschaftliche Vertreter, wie auch Durchschnittsbürger weisen gerne darauf hin, dass der Blick in die Welt genüge. Man könne feststellen, dass z.B. Moral in verschiedenen Kulturkreisen und Gesellschaften unterschiedlich verstanden würde. Also sei Moral ein relatives Bezugsystem zu einer bestimmten Kultur, etc. Zu Recht, wie ich finde, lässt sich verdutzt fragen: Nur weil die Form unterschiedlich aufzutreten scheint, müssen wir gleich das Prinzip - welches vielleicht überall in unterschiedlichen Kleidern auftritt? - für relativ erklären? Wenn ein Kleid auf die Körpermaße einer Person zurechtgeschnitten wird, ändert sich da die Beschaffenheit des Stoffes? 

Weiterhin stellt sich die Frage, ob nicht gerade die gegenwärtig vorherrschende, eine rein materialistische Naturwissenschaft rühmende Denkweise kritisch fragen müsste, ob es Dunkelheit ohne Helligkeit geben könne, Wärme ohne Kälte? 

Kann es ein Adjektiv ohne Substantiv geben: Wenn es die Farbe rot als Prinzip potentiell nicht gäbe, wie vom ,,roten Auto“ sprechen? 

 

Zum Punkt 2: ,,Weil der Mensch von Grund auf subjektiv ist, ist alles menschliche relativ“. 

Es herrscht einige Verwirrung über die Begriffsbedeutungen. Die erste Unterscheidung lautet, dass Objektivität ,,vom eigenen Standpunkt zurücktreten“ bedeutet, während Subjektivität ,,am eigenen Standpunkt gefangen sein“ meint: Wenn ,,Objektivität“ die Vogelperspektive streift, bezeichnet ,,Subjektivität“ die Ich-Perspektive. Unter diesem Gesichtspunkt scheint auch 2. in sich widersprüchlich zu sein: Zu meinen, der Mensch, d.h. jeglicher Mensch, sei von Grund auf subjektiv, ist eine objektive Aussage. Als solche verlangt sie, dass man aus der eigenen Subjektivität heraustreten könne, in verschiedenen Menschen den subjektiven Charakter und fehlenden Zugang zur Objektivität erkenne.

Kurz: Der vollkommen subjektive Mensch trifft eine objektive Aussage. Ich schreibe bewusst treffen, statt fällen, weil zum einen dies keinen Widerspruch duldend vorausgesetzt wird, zum anderen von der Vor-handenheit dessen ausgegangen wird: Es gehöre zur Substanz des Menschen - unabhängig von seinem Willen, Raum und Zeit - vollständig subjektiv zu sein. Nebenbei sei darauf hingewiesen: Diese Form des Relativismus stellt die andere in Frage. Diejenigen, die Substanzlosigkeit, Wesenslosigkeit propagieren, wollen von unveränderlichen Substanzen, Wesenheiten überzeugen. 

 

Die Beschäftigung damit ist sehr wichtig, weil 1. diese Weltsicht Selbstverblendung bedeutet:

Stellen Sie sich vor, Sie wären ein Frosch am Boden eines tiefen Brunnens und ahnten nichts von der Welt außerhalb ihrer dunklen Grube. Schauen Sie hoch, erblicken Sie bloß den blauen Himmel. Wie selbstverständlich und ganz vernünftig würden Sie davon ausgehen, jenseits des Brunnens gäbe es keinen festen Boden -  ändert das etwas an der Tatsache, dass es ihn doch gibt?

Stellen Sie sich vor, Sie wüssten nicht, dass die Erde eine Kugel sei und würden losmarschieren, um ihre Form herauszufinden. Sie werden schnell merken, dass Ihr Verstand - sofern er sich bloß auf Ihre Sinne berufen könne - notwendig schließen würde, die Erde sei eine gerade Fläche. Ändert das etwas an der Tatsache, dass die Erde rund ist? 

Relativist zu sein, bedeutet, Widersprüchen gegenüber taub zu sein, wie der Gehörlose den Geräuschen. Wie der Narzisst, ,,der mit Spiegeln vor den Augen" in der Dunkelheit des Egos umher irrt, irrt der Relativist innerhalb der künstlich konstruierten, engen Grenzen der Subjektivität. 

 

2. Mit dem Relativismus wird alles, von der Moral bis zur Gerechtigkeit, ja der Mensch selbst, willkürlich, damit beliebig, folglich bedeutungslos. Wie möchten Sie mir weismachen, dass Töten grundsätzlich unmoralisch sei, wenn es in der Welt der Menschen gar keine Grundsätze gäbe? Relativisten würden nicht von einem grundsätzlichen Tötungsverbot ausgehen, stattdessen auf die jeweiligen Wertesysteme verweisen, wo jede Gesellschaft an anderen Stellen ihre Hemmschwelle setzt. Hierauf erinnere ich an Adolf Eichmann’s Aussage vor dem israelischen Gericht: ,,Unschuldig im Sinne der Anklage“. Werden Sie mir zugestehen, dass ebenso das Nazi-Deutschland samt des Holocaust und ca. 27 Millionen toten Russen gemessen an seinen Wertmaßstäben - die Juden waren Verräter und Verschwörer, die Russen Barbaren und Minderwertig, überleben könne der von Feinden umgebene Herrenmensch nur mittels Stärke und Skrupellosigkeit - gemessen werden müsse und folglich moralisch nicht verwerflich wäre? Wenn im saudischen Werteverständnis Frauen und Männer ungleich sind, mit welchem Recht protestieren wir gegen entsprechende Umgangsformen? Oder dass man den IS nur dann verurteilen dürfe, wenn er seinem moralischen Wertesystems zuwider handele, aber nicht gemessen an den universalen Menschenrechten? Überhaupt: Was bleibt von den universalen Menschenrechten?

 

Wer Maßstablosigkeit predigt, muss nach dem t verstummen. Denn Maßstablosigkeit bedeutet, dass es keine Maßlosigkeit, ja dass es überhaupt kein Maß gibt. Die Skeptizisten und Nihilisten sind so ehrlich und ziehen die Konsequenzen, indem sie alles verwerfen. Der Relativist verweist auf etablierte Maßstäbe, nur dass die auf wackligen Beinen stehen: 

1., weil der subjektive Mensch nicht aus sich selbst heraus treten kann, was er eigentlich müsste, wenn er an überindividuellen Maßstäben, statt seinen eigenen Neigungen beurteilen soll. Stellen Sie sich den Streit zweier Menschen vor. Lässt er sich nicht aus der Welt schaffen, scheint es naheliegend, eine dritte unbeteiligte und unvoreingenommene mit der Schlichtung zu beauftragen. Eine vollständig subjektive Person mit einer Vorgeschichte, Meinungen, Vorlieben, Leidenschaften, etc. Wie viel bleibt von unbeteiligt und unvoreingenommen? Wohl deshalb sind wir dabei, möglichst jeden Bereich menschlichen Zusammenlebens rechtlich zu bestimmen, weil wir weder uns selbst, noch den Mitmenschen trauen. Davon abgesehen: Um einen gesellschaftlichen Rahmen zu bestimmen, der über den Einzelnen hinausgeht, müssen diese Einzelnen sich zusammentun und einen solchen aushandeln. Wenn aber niemand von seinen eigenen Urteilen und Meinungen sich lösen kann, um die Richtigkeit verschiedener Urteile und Meinungen zu überprüfen, welchen Sinn besäße Argumentieren und Diskutieren dann noch? Eine gute Überleitung zum nächsten Problem. 

2., Etablierte Maßstäbe stünden auf wackligen Beinen, weil sie keinerlei Legitimationsansprüche besitzen, außer, dass sie mit dem jeweils vorherrschenden Weltbild der Mehrheit übereinstimmen. Beide setzen für ihren Fortbestand auf Gewohnheit. Dadurch sind sie bodenlos, denn Gewohnheit hält nur solange, wie sie an keine Hindernisse stößt. Es ist wie mit einem Kartenhaus, das solange steht, wie keine Windböe es streift. Deshalb ist der Humanismus lange tot, deshalb lautet die Zwischenbilanz von 70 Jahren Grundgesetz von Januar 2014 bis Juli 2018 mehr als 16.000 Tote an den EU-Außengrenzen, Handlungsunfähigkeit trotz spürbarer Umweltkrise, rasant steigende Depressionszahlen, bröckelnde innengesellschaftliche Solidarität und nach dem dunkelsten Jahrhundert der Menschheitsgeschichte Beharren, statt Eingeständnis. 

 

Doch die größte Tragödie sind nicht diese Symptome einer tief geistigen Krise, sondern der Verlust von jeglichem Sinn für Gerechtigkeit. Damit verliert das Menschsein seinen inneren Wert, gleich einer inhaltlosen Schachtel. So steht der Relativist, wie viel relatives er auch anhäuft, am Ende doch mit leeren Händen dar. Denn nichts, gar nichts hat unterm Strich Sinn oder Bedeutung: Alles ist austauschbar. Deshalb kann der postmoderne Mensch mit quantitativ nie dagewesenen Freiheiten nicht umgehen: Die Arbeit und die Partnerschaft machen nicht glücklich, die Freiheit zur politischen Mitgestaltung wird großmütig Lobbyisten und Konzernen überlassen. Die Tragödie besteht darin, dass der Relativismus gleich den Höhlenbewohnern Platons den Schein zur Wirklichkeit, die Wirklichkeit zum Schein erklärt: Er tut, als gäbe es keine Unterscheidung zwischen Realität und Wirklichkeit. Er gleicht dem Wüstenbewohner, der seine Realität zur Wirklichkeit erklärend meint, es gäbe keinen Regenwald, keine grüne Landschaft. 

 

 

Vincit omnia veritas, weiß der sich der Grundsätze bewusste Mensch. Der Relativist weiß nicht einmal, dass er gar nichts weiß.